1999 - Das Jahr der Senioren



Bin mir zwar selbst nicht sicher, ob ich mit dieser Geschichte hier im richtigen Unterforum bin...aber: Leben - Philosophie - Hier fahren wir Dir mit tiefsinnigen Gedanken unter die Haut!

Meiner Meinung nach SIND es tiefsinnige Gedanken! Ich -vllt mag es auch an meinem Beruf der Altenpflegerin liegen- denke oft über das "Leben im Alter" nach, lese Bücher und führe Gespräche. Im Internet habe ich einige Geschichten und Gedichte gefunden, die mir Gänsehaut verpassen. Mir tut es unheimlich lied, wenn ich die ältere Generation im Heim auf den Gängen sitzen sehe, wie sie regelrecht vor sich hinöden...teilweise haben sie keine Verwandten mehr bzw keinen, der sie besuchen kommt! Sie sprechen nur noch kaum, sind mit allem "zufrieden" - bzw widersprechen einfach nicht. Haben sie einfach keine Lust? Wollen sie ihre Ruhe? Sind sie unzufrieden? Als Pflegepersonal lässt es sich leicht sagen "Was ist mit dem denn heute schon wieder los...ist ja furchtbar, diese Unmotivation." Doch was dahinter steckt - da kommt man nur sehr selten drauf. Dabei bin ich mir sicher, dass es zu mindestens (!) 90% der Fällen einfach die Traurigkeit ist.

Im Jahr der Senioren sind wir die Vergessenen,
wir sind die "Alten"!

Ich bin 84 Jahre alt
ich sitze im Rollstuhl weil meine Beine
mich nicht mehr tragen
die weißen Haare auf meinem Kopf kann ich zählen
meine Hände sind verbogen und steif
ich kann schlecht sehen und schlecht hören
und mein Hörgerät funktioniert nicht immer
ich habe keine Kontrolle über meine Ausscheidungen
und trage "Pampers"
aber mein Kopf, der funktioniert noch
und das was ich noch sehe und höre hier draußen in der Welt
verletzt mich:

wenn ich im Rollstuhl durch das Einkaufszentrum
gefahren werde
sehen die Leute weg - es ist ihnen peinlich
wenn ich im Rollstuhl in ein Restaurant gefahren werde
rücken die Leute einen Tisch weiter
sie rümpfen die Nase und flüstern "die stinkt!"
und "die kann doch nicht mehr alleine essen, was will sie hier?"
wenn ich im Rollstuhl in ein Bekleidungsgeschäft gefahren werde
bringt die Verkäuferin mir einen Jogginganzug ("das ist praktisch für Sie")
das schöne Seidenkleid aus dem Schaufenster darf ich nicht anprobieren
("das gibt es nicht in Ihrer Größe") aber sie hat nur Angst,
das Kleid könnte meinen Geruch annehmen

Im Jahr der Senioren sind wir die Übersehenen
wir sind die "Alten" und die "Gebrechlichen"
wir funktionieren nicht mehr
und wir erinnern die "Jungen" und die "Senioren" daran
daß auch sie einmal "alt und gebrechlich" werden
- niemand will das wissen!


Leider ist der Autor unbekannt, mehrere Gedichte findet ihr aber auf
http://www.altenpflegeschueler.de/gedich...chten/index.php

Für mich ist es ein absoluter Traumberuf, der leider mit mehr Tiefen als Höhen ausgestattet ist. Es tut mir weh zu sehen wie die alten Menschen leiden - ich für meinen Teil möchte mich auf der Arbeit dafür einsetzen und ihnen das Gefühl von LEBEN zurückgeben!

LG Tinkerle Wink
Hi Tinkerle,

schön wie sehr Du dich für unsere Mitmenschen einsetzt! Danke mit Blumen Welche Höhepunkte durftest Du schon erleben? Und welche Tiefen hast Du schon durchlebt?

Viele Grüße,

Jama
Danke :o)

Ein absolutes "Highlight" war eine alte Dame die ursprünglich zum Sterben zu uns kam...sie konnte keine Nahrung mehr zu sich nehmen und hatte deshalb eine PEG (Magensonde) bekommen sowie einen Katheter zur Urinausscheidung. Laut Angaben der Tochter sprach sie kein einziges Wort mehr und lag 24 Stunden am Tag im Bett! Sie war komplett instabil und konnte noch wegen schlechtem Allgemeinzustand nicht einmal mehr in den Rollstuhl mobilisiert werden, ohne dass sie kollabierte. Sie hatte Kontrakturen (Versteifungen) in sämtlichen Gelenken, vor allem die Finger waren total verknotet.
In meinen freien Minuten hab ich mich zu der Frau ans Bett gehockt, zu ihr gesprochen und ein paar Übungen zur Lockerung der Gelenke, v.a. eben der Hand durchgeführt. Es hat lang gedauert, nach ungefähr 4 Wochen hat sie brockenweise angefangen zu sprechen und konnte teilweise angedickte Nahrung zu sich nehmen. Nach 2 Monaten haben wir sie erstmals für 10 Minuten in den Rollstuhl gesetzt, was sie sehr gut verkraftet hat. Als das die Tochter gesehen hat, hat sie vor lauter Freude angefangen zu weinen... Solche Momente sind fast wirklich die Schönsten in meinem Beruf :-) Oder einfach, wenn dich ein alter Mensch anlächelt...das reicht auch schon aus!

Tiefen gibt es fast täglich, bzw fängt es schon damit an wie man manche Menschen leiden sieht! Eben die, die wegen schlechtem AZ 24 Std. am Tag im Bett liegen müssen, die nicht mehr essen können und mit PEG versorgt werden, die nicht mehr in den Rollstuhl gesetzt werden können und einfach all das verpassen, was uns Freude bereitet! Sie bekommen keine Jahreszeit mit, wissen nicht welchen Monat bzw Tag wir haben...haben keinen Tag-Nacht-Rhythmus mehr und kommen nie an die frische Luft!
Zum anderen natürlich die sterbenden Mensch - die man bei uns im Gegensatz zum Krankenhaus tagtäglich pflegt...im KH gehen die Menschen gesund nach Hause, bei uns kommen die meisten um zu sterben. Krass gesagt, aber es ist so!

Hatten eine gaaaanz liebe Frau, so eine richtig typische Oma - einfach zum Knuddeln, die komplette 2 Monate im Sterben lag! Sie hat geschrieen vor Schmerz, und nichts hat geholfen. Sowas ist wirklich grausam und da frage ich mich: v.a. die alten Menschen sind sehr gläubig, warum müssen sie dann so leiden???

Lieben Gruß
Manchmal fragt man sich da auch wo ist die Gerechtigkeit des Seins, die Kirche würde irgendwas von nicht Gläubig, Sündig reden. Leiden tun leider oft die falschen... Traurig aber wahr.

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